21.05.2009

Augen in der Großstadt

Wenn du zur Arbeit gehst

am frühen Morgen,

wenn du am Bahnhof stehst

mit deinen Sorgen;

da zeigt die Stadt

dir asphaltglatt

im Menschentrichter

Millionen Gesichter:

Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick,

die Braue, Pupillen, die Lider

Was war das?

Vielleicht dein Lebensglück.

vorbei, verweht, nie wieder

Du gehst dein Leben lang

auf tausend Straßen;

du siehst auf deinem Gang, die dich vergaßen.

Ein Auge winkt,

die Seele klingt;

du hast gefunden,

nur für Sekunden...

Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick,

die Braue, Pupillen, die Lieder;

Was war das?

Kein Mensch dreht die Zeit zurück...

Vorbei, verweht, nie wieder.

Du musst auf deinem Gang

durch Städte wandern;

siehst einen Pulsschlag lang

den fremden Andern.

Es kann ein Feind sein,

es kann ein Freund sein,

es kann im Kampfe dein

Genosse sein.

Es sieht hinüber

und zieht vorüber.

Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick,

die Braue, die Pupillen, die Lider.

Was war das?

Von der großen Menschheit ein Stück!

Vorbei, verweht, nie wieder.

[Kurt Tucholsky]

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